2019

 

  Warum Menschen sich zu einem speziellen Zeitpunkt um einen Tisch einfinden und eine Gemeinschaft bilden, gründet sich in dem Erklärungsversuch,- ausgestattet mit kollektiv berechtigter Hoffnung -, sich nähren zu wollen. Dies Grundverständnis einer vereinten Kostaufnahme teilt sich sogleich,- darauf lege ich besonderen Wert -, in zwei Gattungen: Die der Einverleibung von Lebensmitteln und des Parlierens.

   Diese noch zu gewichtende Unterscheidung wird von mir deswegen als so erwähnenswert erachtet, da das Verhältnis beider Reflexionsfelder in meiner Kinder- und Jugendzeit im Elternhaus klar zu Ungunsten der Verköstigung ausfällt. In der Tat entsprach der Vorgang einer Mahlzeit lediglich einer Existenz förderlich-dienenden Aufnahme notwendiger Esswaren.

   Die Protagonisten der Küchenmachenschaften,- meine elterlichen Vorbilder -, kannten keine kulinarischen Leitbilder und verspürten auch nicht den Drang, diese ausfindig machen zu wollen. Der “Spiegel“ und unsere Tageszeitung hielten keinerlei genussfreudige Offerten parat. Auch das Fernsehprogramm der 60er kannte noch nicht die heutigen trendigen Kochstudios. Zudem war die nächst gelegene Buchhandlung, in der man leicht die Vorbilder in Form von Kochbüchern hätte erwerben können, etliche Kilometer entfernt.

   Ein Restaurant, dem Hort möglicher Beispiel für Essenszubereitungen, hatten wir in unserer Kinder- und Jugendzeit als Familie nie von innen gesehen. In Ermangelung eines Pools kreativer Speisestrategien, bildete mithin eine vergilbte, fliegende Blättersammlung von Rezeptnotizen als Grundlage dessen, was wir an den gemeinsamen Tafelrunden zu verzehrten suchten.

   Unseren Vater haben wir niemals am Herd stehen, gar mit Schürze umtriebig in der Küche umherlaufen sehen,- selbst ein abschmecken der Tütensoße war ihm abhold. So konzentrierte sich das Küchengeschehen auf die nährende Tätlichkeit meiner Mutter. Diese Art von Tätlichkeit hatte eines Tages den unrühmlichen Höhepunkt in Form eines „Labskaus“, der kollektives Murren (trotz Ermangelung von Vorbildern!) und noch meine in heutige Zeit hineinreichende Abscheu vor Reisgerichten zur Folge hatte: Übersalzene Heringe flankierten einen verkleisterten Klumpen aus glasigem, aufgedunsenem Wasserreis.

   Somit sei an dieser Stelle das Bild meines kulinarischen Leides klar konturiert versichert. Nur einmal, auf einer vom Vater geleiteten Freizeit, strahlten unsere offenen Kinderaugen angesichts eines skandinavischen Buffets und dessen Landschaft schlemmerhafter Möglichkeiten von Kombinationen und Variationen. Fortan bekam mein Butterbrot neben des sonst üblichen Belags eine z.B. mit Tomatenscheiben doppellagige Gestaltung,- mit dem krönenden Abschluss gehackter Zwiebeln und Kräutern. Ebenso waren die Besuche bei unseren Großeltern für uns Kinder mit großer Vorfreude gesegnet. Die zwar traditionellen, doch mit feiner Harmonie und Liebe gewürzten Speisen waren stets Anlass, Mutter z.B. von den mit Senf, Zwiebeln und Bröseln verfeinerten Frikadellen, dem mit Schmand und ausgewogener Würze abgeschmeckten Feldsalat vorzuschwärmen. Alle Erlebnisse rund um solcherart Küchengeschehnisse zeitigten erwartungsgemäß Auswirkungen auf mein späteres Nahrungsleben. Als ein markantes Beispiel dafür machte ich mich fortan an die Eroberung und Erforschung „lukullischer Neufindländer“

   Wie weit die als Verlust empfundene Unkenntnis in der Causa „Schlemmereien“ reichte, bezeugt u.a. die Entdeckung erst auf einer Party in Studentenzeiten, von der Existenz einer Knoblauchpflanze erfahren zu haben. Um auf diesem Gebiet der Sinnenfreuden nun also den Paradigmen-Wechsel einläuten zu können, begann ich mit zarten 20 Lenzen die systematische Durchwanderung ausgesuchter Häusern für Gourmets. Es folgte diesem programmatischen Ansinnen eine 40-jährige Tradition, wenigstens zweimal in der Woche Restaurants aufgesucht zu haben. Höhepunkte bei diesem kulinarischen Surfen waren die Speisen von Köchen, die an ihrer hohen Mützen mit einem oder zwei Sternen dekoriert waren.

   Eine Freude war es mir stets, neue exotische Suppen ausfindig bekommen zu haben, wie z.B. Känguruschwanz-, Bärentatzen- oder Haifischflossensuppen. Als Höhepunkt meiner Suppenexpedition erwies sich eine chinesische Schwalbennestsuppe, bei der Speichel von Schwalben aus den Nestern ausgekocht wurde. Bei ihrem Verzehr erachtet ich es als überaus angenehm, dass der Napf nicht vollends gefüllt war und einen visuell überaus erfreulichen Halt in Form dreier, quer über die Suppe platzierter Schnittlauchhalme aufwies.

   In Kunststudienzeiten unternahm ich noch zu Francos Lebzeit Anfang der 70er Jahren eine zweimonatige Reise mit meinem Freund, um all die Heroen der schönen Künste in Spanien uns veranschaulichen zu wollen. Der Peso stand zur D-Mark derart günstig und die Touristen verdarben noch nicht die Speisepreise, dass unversehens diese Fahrt desgleichen zur Schlemmertour par Excellence generierte. In den besten Restaurants dinierten wir fürstlich jenes, was wir bisher noch nicht kannten. Auch hier gestalteten sich genüssliche Höhepunkte z.B. im Verspeisen von Stierhoden und Hasenembryos.

   Diese anhaltenden Studien (ver-)führten nicht dazu, selbst kochen zu sollen, da ich neben diesen Erkundungen mittlerweile zuhause vorzüglich auf französische Art bekocht wurde.

   Zwei generelle Auswirkungen hatten sich derweil bei meinen Essstudien manifestieren können: Einen ausgeprägten Sinn für das Schmecken und Abschmecken bekommen zu haben und beim Kreieren selbst gekochter Speisen die Kombinationen von Ingredienzien ohne Eingrenzungen sicher und behänd einsetzen zu können. Auch setzte sich letztendlich das Bewusstsein durch, ausschließlich die besten Lebensmittel,- die auch diesen Terminus verdienen -, in heimischer Küche verarbeiten und an häuslicher Tafel verspeisen zu wollen.

   Um den Bogen zur heimelig  anmutenden Wohnküche im elterlichen Haus zu schlagen, ist ein Tag besonders zu erwähnen. An ihm wurde umsichtig und mit außergewöhnlicher Vorfreude der Tisch gedeckt. Es galt dabei das Abendmahl der Silvesternacht vorzubereiten, dessen Gericht jährlich nur einmal aufgetischt wurde: Königsberger Klopse, die wie mächtige Inseln in der so begehrten weißen Kapernsoße sich gründeten. Noch während der Hauptspeise wurde immer wieder „der kleine Prophet“ in gespannter Erwartung gemustert: Das am Tellerrand quergelegte Löffelchen verriet uns nämlich, dass die Nachspeise der überaus ersehnten Mohnpielen kurz bevorstand. Beide Gerichtsegmente erschienen wie kulinarische Postkartengrüße der polnischen Vorfahren meines Vaters gewesen zu sein. Die eigentliche Nachspeise dieses Tages jedoch war eine visuelle: Statt Leucht-raketen in den mitternächtlichen Himmel aufsteigen zu lassen, wohnten wir andächtig dem züngelnden, leuchtenden Blau auf schmelzendem Zucker bei, um anschließend die Feuerzangenbowle augenverdrehend schlürfen zu können.

   Dieser jährliche Höhepunkt elterlicher Tischgemeinschaft stellte hingegen keinen wirklichen Trost des im Jahresverlauf erlittenen Verköstigungdarbens dar. Demgegenüber nährte uns während der Essenszeit allerdings das gegenseitig formulierte Wort unsere Gedankenkräfte mit lebenswichtigen Impulsen. Dieserart Austausch,- der Verhandlungen der anstehenden Alltagsfragen -, konstituierten sich im Normalfall ausschließlich zu den gemeinsamen Mahlzeiten. Reglement und Fundament dieser Gesprächsplattform war die Maßgabe, dass ein besseres Argument stets obsiegen würde. Damit war sichergestellt, dass emotionale Regungen für die Unterstützung einer Darlegung nicht nötig seien. Zudem fühlten wir Kinder uns gegenüber der erwachsenen Führung von Argumenten mit dieser Maßgabe gleichberechtigt,- wir mussten lediglich unsere Begründungen sorgfältig wappnen und waren zudem mit der demokratischen Mehrheit ausgerüstet. Der Sieg gemeinsamen Austarierens war immer dann sichergestellt, wenn Einsichten eines Gesprächspartners signalisiert wurden.

   Epilog  Wasser ist nachweislich unser aller wichtigstes Nahrungsmittel. Wollte man mit diesem Grundelement hingegen einen Zauber an Sinnesfreuden entfachen, müsste man schon das Ende einer Fastenkur erreicht haben, um lediglich feine Unterschiede von Wässern erleben zu können. Stellte man jedoch mental geregelt sich dem Wissen, der Nährwert des Wassers bildete sich neben Mineralstoffen hauptsächlich durch Struktur und Information und sei deswegen das wichtigste Nahrungsmittel unseres Körpers, dann könnte ein völlig neuer Komplex individueller Fragen und Untersuchungen einen existenziellen Raum einnehmen.

   Nach meinen vergangenen heftigen Sturm- und Drangzeiten kulinarischer Sinnesfreuden, könnte für die Sinne eine besondere Herausforderung darin bestehen, den Faden der Erkenntnis über die Funktion und Inhaltsstoffe des Wassers wenigstens theoretisch weiterspinnen und damit animierende Impulse setzen zu können:

   Menschliche Körper sind eine Ansammlung von Schwingungsenergien auf subatomarer Ebene, als ein Teil des bis in die Tiefen des Alls hineinreichenden Quantenenergiefeldes. Unsere subatomaren Teilchen tauschen untereinander Energie aus und stehen zudem ebenso mit allen Teilchen des Universums in direkter Verbindung. Wenn Wellen (Frequenzen) aufeinandertreffen, nehmen sie die Informationen gegenseitig auf, speichern bzw. reichen sie weiter.

   Klammerte man die Fragestellung nach der Sinneswahrnehmung vorerst einmal aus und übertrüge die gerade angesprochenen und gesicherten Wissensbereichen auf die mittlerweile ebenfalls gesicherte Position, sich ausschließlich von Strukturen und Informationen des uns allseits umgebenden Feldes ernähren zu können, so verdutzt die Schlüssigkeit und Einfachheit dieses Modell- und Denkansatzes.

   Vom Grundprinzip her nähre ich mich seit vier Jahren von veganer Kost,- eine immer noch mit opulenten Sinnesfreuden ausgestattete Nahrungszubereitung. Viele der mir zuvor sehr zugesagten Speiseelemente allgemeiner Kost sind aufgrund meiner aktuell-grundsätzlichen Entscheidung schon abhandengekommen. Warum nicht auch diese, welche ich mit Genuss gegenwärtig zu mir nehme? Welche Sinnesfreuden erführe ein Selbst, das sich als Frequenzwesen erkannte,- mit farbigem Licht als Nahrung liebend und sich himmlisch genährt fühlen zu können; wahre Freude im Zusammenspiel, in Einklang mit dem Universum empfinden und ausdrücken zu vermögen?