Harald Jegodzienski
Magische Städte – Räume des Eigentlichen?

2017

 “Wir glauben, dass selbst eine typische Stadt ungewöhnlich ist und alle Städte eines gemeinsam haben: ihre Eigenarten. “Magic city“ (“ein urbaner Raum verinnerlichter Bedeutungen“ zelebriert den universellen Charakter von Städten und ist zugleich ein Liebeserklärung an ihre unendliche Vielfalt. Die besondere Magie, die von unseren Städten ausgeht, entspringt der schieren Fülle ihrer unmöglichen Widersprüche und dem unglaublichen Nebeneinander, das sie in sich vereinen. Wir haben all die vielen Künstler gebeten, ein Auge auf die Kontraste zu werfen, die eine solche Diversität bietet. Die Wahrheit ist nämlich nicht immer im Konsens zu finden: sie entsteht im Brennpunkt der Unterschiede und drückt sich in vielerlei Sprachen aus. Städte wurden entworfen um Arbeitsprozesse zu rationalisieren: Künstler aber haben sie in einen Spielplatz der Fantasie und Ideen verwandelt. Street-Art-Künstler kreieren einen Spielplatz für wachsame Augen. Durch unerwartete, spielerische, ironische und rebellische Interventionen und Guerilla-Aktionen reißen sie uns in einem kalkulierten Moment der Überraschung aus den Banalitäten des Alltags, rütteln uns aus der Lethargie urbaner Gleichförmigkeit. Street-Art-Künstler erobern den öffentlichen Raum zurück und demokratisieren ihn“ ( Carlo Mc Cormick, Kurator der Ausstellung der “magic city“ mit Werken von Street-Art-Künstlern aus aller Welt – Weltpremiere in Dresden).

Impression der Dresdener Ausstellung

   Das Willkommensmanifest für alle Besucher der “magic city“ provoziert mich, angesichts “der schieren Fülle unendlicher Vielfalt, unmöglicher Widersprüchen und unglaublichen Nebeneinanders“ des Elbsandsteingebirges nahe Dresdens meine “Liebeserklärung“ abzugeben. Mit diesen ZitatFragmenten wird klar, den besagten Text auch mit einer anderen Lesart bedenken zu können und dabei festzustellen, welches Gedankens Kind hier etwas formuliert: es sind Reflexionen über eine aktuelle städtische Ausdrucksform mit derselben Inbrunst und Verherrlichung artikuliert, die seit Menschengedenken der Natur zugedacht wurden und noch immer werden.

  In der Tat: flaniert man in den SteinSchluchten der Metropolen, bewandert diese in Gebirgen, sind wir berührt ob der Größe, Ausdehnung und EnergieAusstrahlung. Städte mit ihren Lebensformen entspringen menschlicher Ratio und aus ihm entstandenem Konstruktionen. Als ein Beispiel möge die Formulierung im Text dienen, dass “Städte entworfen wurden, um Arbeitsprozesse rationalisieren zu können“. Wie verhält es sich mit der Natur?

  Die Darwinsche Theorie geht von der Annahme aus, dass der Urkeim allen Lebens aus der zufälligen Verbindung von Aminosäuren und Eiweißen entstanden sein könnte. Die nun folgende und vielleicht auch richtige Gedankenkette der Evolution basiert auf einer Mutmaßung, die nun von der Wissenschaft vor nicht allzu langer Zeit widerlegt wurde: die kleinsten LebensZellen sind Motoren mit Antriebswellen, Spindeln und Zahnrädern etc., deren ExistenzUrsprünge können nicht  einem Zufall chemischer Verbindungen unterstellt werden. Die Wissenschaft definiert daher nun das Leben an sich und ihre Entstehung als “intelligentes Design“.

  Beides, - urbane physische und mentale Lebensformen und das natürliche Leben haben im  “intelligentem Design“ ihren Ursprung. Davon leitet der Text nun ab, dass das Mensch Gemachte ebenso zu verherrlichen sei, wie das zu genüge schon mit der Natur geschehen ist.

  Das magische an den Städten liegt in unserem Staunen ob der menschlichen Gestaltkraft. Wir können jubeln über das Entstehen von komplexen Gefügen auf engstem Raum. Genau damit wird dem MenschEgo mächtig zugesprochen. Wohin dies jedoch führt, wird  im “magic-city“-Text gleich mitgeliefert: Leben in der Stadt führt zu Gegensätzen, zu Rissen und Verwerfungen. Man könnte noch eine Litanei an Ergänzungen  dieser Art anführen. So wird neben der Verherrlichung städtischen Lebens gleichzeitig auch mitgeteilt, dass etwas im Argen liegt, - und dies mächtig. - Warum?


 „magic city“

  Städtische Konzeptionen basieren auf menschlicher   VerstandesArbeit, wir benennen diese als RatioRevolution und bewerten sie als genial. Ratio will rationalisieren, sogar unsere Gefühle. Der Verstand schafft es tatsächlich, GefühlÄhnliches zu kreieren: die Emotionen. Sie fallen unvermittelt, unkontrolliert und wild durcheinander über die Menschen her. Sie zu beherrschen obliegt dem grundlegenden, tiefen und wahren Gefühl, - sofern man ihm die Vorhand überlässt. Generell ist zu konstatieren, dass Gefühle immer aber über Emotionen obsiegen werden, da der Verstand nicht in der Lage ist, mit Energien, die irrational sind, umzugehen. Klarheit und Authentizität vermag nur unser Gefühl zu erschaffen.

  Wie ist es mit den GraffitiRandnotizen unserer städtischen Wege bestellt, die, abgesehen von den berühmten Ausnahmen, sich wie TapetenMusterbuchseiten offenbaren, - inmitten der Flut aller auf uns einstürmenden Nachrichten? Meist sind sie “icons“ (Signaturkürzel) oder finden in einem ganz persönlichen „GuerillaKick“ lediglich ihr Verständnis. Diese EgoSprache finde ich wie auch in der „normalen“ KunstSzene völlig unerheblich. Genau diese aber überschwemmen uns als “aufrüttelnde“ Kurznachrichten im öffentlichen Raum und begleiten mich jedenfalls wie SchlagerParaden oder Musikantenstadeln: sie wollen auch nur gefallen. Sie tragen, wie die meisten Facebook Eintragungen die Nachricht in sich: „Aufgepasst, - hier war ich und bin der kommende Star!“. Diese bedeutungslosen Nachrichten entwerfen für keine Seiten Perspektiven.

  “Street-Art“ will mit ihren Produkten Emotionen wecken und dem Spielplatz menschlichen Handelns einen weiteren Spielraum hinzufügen. Damit befeuert sie die systemimmanente egozentrierte SpiralBewegung fernab von unserem Eigentlichen. Dieses Kleinod des Eigentlichen definiert sich über die positiv besetzten Begriffe von plötzlicher Idee, Einfälle und Eingebungen zu haben, Träume und Gewissen wahrzunehmen, sich inspirieren zu lassen etc., - alles Gefühlsäußerungen, mit denen die Ratio generell von ihrem Wesen her keinen Bezug hat.

  Sich seiner Selbst klar werden bedarf einer Umgebung, die dieses Verlangen unterstützt. Die Konsequenz wäre, mal aus dem lauten Rauschen seines StadtUmfelds sich zu entziehen und in die Natur schweifen zu wollen. Hier können wir uns aus dem EgoSpiel herausnehmen und der Harmonie des ersten, wahren “intelligenten Designs“ lauschen und uns dabei wieder erden.

Das Elbsandstein-Gebirge nahe Dresden

Das soll keine Aufforderung zur Stadtflucht bedeuten. Doch kann man z.B. mit dem „urban-gardening“ auf Hausdächern oder in Hinterhöfen beginnen, um wieder eine Balance und Heilung zu kreieren. Damit wären wir dem Ursprung wieder etwas näher gekommen, - denn Städte waren auch einmal Natur und unser menschliches Bewusstsein verrät uns, dass wir alle ebenfalls dieselben natürlichen Wurzeln aufweisen.

  Schlussendlich ist zu fragen, ob das Kultur- und generell das StadtAngebot zur bloßen Unterhaltung verkommt und unser Selbst zusätzlich damit vereinnahmen will? Wir werden analysiert und wir interpretieren. Ein besonderes Beispiel und Zeugnis städtischer Kultur ist der Umgang, besser gesagt sind die Umtriebe, mit dem MultitaskingGerät, das noch den Namen „mobilphone“ trägt. “Big brother is watching you“ vermittelt ein heimatliches Gefühl,- verbunden mit einer höheren Macht zu sein, der einem bei unserem täglichen Treiben über die Schulter schaut. Dies wird mit einer unsäglichen Versunkenheit und Intensität vom „user“ angenommen, dass es einen ergreift. Und was begreift man? Es wird hastig und ständig gecheckt, um im Fluss aller Komplexität seinen persönlichen Stand zu sichern; Gespräche verwildern am Wegesrand zur Unterhaltung, - Essentielles wird durch unterhaltsame Kurznachrichten zerstückelt; eine virtuose DaumenPerformance treibt den Cursor zu irgend gearteten Spielzielen und vertreibt die kostbare Lebenszeit. Ein spannendes Instrument, das die Illusion vorgibt, beachtlicher zu sein, als man selber ist.

Thorastab

  Wie besonnen demgegenüber zeigt sich z.B. die „Absichtserklärung“ eines Zeigestabs, in Verlängerung der eigenen Hand, absichtsvoll und zielgerichtet Wort für Wort dem Wahren und damit einer Klärung näher kommen zu wollen.

  Das Gemeinsame,- von uns aus Gestaltete -, erhält kaum noch Raum: das was verbinden will. Das veranstaltete Gemeinsame umso mehr, - das was binden  will. Obwohl es laut und farbenfroh um uns herum zugeht, scheint eine zweite, innere “Biedermeierzeit“ angebrochen zu sein, in der wir wieder uns in das Private zurückziehen, - ohne die notwendige Konsequenz daraus zu ziehen. Eine Zeit der Vereinsamung und Separatisierung mitten im allgemeinen Rummel scheint angebrochen zu sein; „das da Draußen“ offeriert uns nämlich keine wirkliche Perspektive mehr, - gaukelt es uns aber mächtig vor.

  Wir sollten folgerichtig den Entschluss fassen, selbst zu gestalten, gerichtet zu spielen und unser ureigenes Gefüge, das Ensemble unseres als wichtig erachteten Umfelds aufzuspüren, was jeweils existenziell wirklich zu uns passt. So gesehen sollten wir nicht auf die Verweise großer Bühnen, Spielangebote und vehementen AnSprüche einer städtischen Gesellschaft gierig schauen und von diesen Produkten uns nähren wollen, sondern Kultur und Leben an sich so zu verstehen: fundamental sich Selbst begegnen zu wollen, - stets achtsam zu sein -, um daraus das Begehren zu entwickeln, mit Gleichgesinnten zu feiern und zu staunen; den öffentlichen Raum für Kontaktpflege, für gemeinsame Feste, für Kundgebungen (wo Wirkliches verkündet wird) und den Meinungsaustausch zu nutzen (indem wir unsere Meinung zunächst erkunden, mitteilen und schließlich auch tauschen können)