Geschichten
von Symposien

Harald Jegodzienski
outside - inside

Kahla
1995

Veröffentlichung: Katalog, 1995

Langsam, aber stetig rollen die weißen Tabletts zum Eingang des Tunnels, formieren sich in der Brennstraße zu einem überdimensionierten, geschlossenen Kaolin- Tischtuch. Auf ihm, in respektierlichen Abständen, die in Stumpf-Weiß getauchten Porzellangefäße, standhaft und selbstsicher - und die Symposiumsarbeiten. Im Halbdunkel der Tunnelöffnung verschwindet langsam der scheinbar mit Zuckerguss überzogene gedeckte Tisch, unwiderstehlich der wabernden Glut des alles entscheidenden Feuers entgegen.
Strahlend, dem läuternden Feuer entronnen, spiegelt die Glut an der Oberfläche der weißen Fracht. Im Gegenlicht der Feuerwand, die aus dem Bauch des Ofens gleißend erscheint, sind die accellerierten Recken, die Ergebnisse des Workshops, schnell auszumachen, überragen die eingespielte Mannschaft von glänzend weißen Tassen, Schüsseln und Kannen. Und immer die wiederkehrende Hoffnung auf positivem Bescheid der Frage, stark genug gewesen zu sein, Material und die Elemente richtig beherrscht zu haben. Der Tunnelausgang dieses großen Ofens beschert die Antwort des Feuers.
Der Todeskegel ausrangierter Gegenstände hält gleichsam als Abschiedsofferte ein übergroßes Angebot von Farb- und Formenkombinationen bereit, lädt ein zum Aufspüren von Geschichten des nun geschichtlichen Materials. Schmale Arbeitsspinde bilden die kristalline Statik des Abfallberges. Grüne Lackplacken zittern vor dem orangenen, verwitterten Grundanstrich im Wind. Eine Spindtür hat nur in einer Angel notdürftig Halt und gibt im verbergenden Halbdunkel den Inhalt zur Ansicht frei. Die ersten Ausgaben der Bild-Zeitung nach der Wende und bunte Wahlplakate bilden die Basis der Schräge, auf der die verbogenen Aluminium-Gabeln, die bröckelnde, gerissene Kernseife mit der Plasteschale und der braune Qualifikationsausweis mit dem goldenen Sieger-Ährenkranz im Herzen die großen Versprechungen und lauten Ankündigungen der Druckerzeugnisse durchkreuzen oder verdecken. Der FDJ-Wimpel streitet mit dem Zwiebelmuster der Porzellanscherben um die blaue Vormacht. Aus dieser Schichtung ragt die Senkrechte der eingerollten roten Fahne empor. Verbogene Nägel am Stiel verraten, dass sie wohl hastig ihrem angestammten Platz entrissen sein musste.
In der Konfrontation und Verknüpfung der absoluten Reinheit des Porzellanscherbens mit dem farbig-abgewetzten, geschichtlichen Materials entsteht Befriedung; - sie lässt Schwingungen freisetzen in der Zwiesprache der Materialien und eröffnet die Diskussion um Inhalte

TeilnehmerINNEN des Symposiums

Claudia Barthel (Deutschland)
Frank Brinkmann (Deutschland)
Netty von den Heuvel (Niederlande)
Simone Holubar (Österreich)
Karala Hünecke (Deutschland)
Kirsten Jäschke (Deutschland)
Harald Jegodzienski (Deutschland)
Volkmar Kühn (Deutschland)
Dörte Michaelis (Deutschland)
Beatrice Neumann (Deutschland)
Valda Podkalne (Lettland)
Marianne Rahneberg (Deutschland)
Walther Stürmer (Deutschland)
Beatrix Weißflog (Deutschland)