Harald Jegodzienski
Schattenspiel
|
Riga
1997
|
Die tanzenden Schlagschatten des Kerzenlichts
auf der kalkigen Kellerwand des Akademiecafés provozieren den
Vergleich mit der hügeligen Schneelandschaft vor dem Eingang.
Vor diesem hellen Hintergrund nimmt sich das Treiben im Raum wie
ein Schattenspiel aus. Die Kleidung der Kunststudenten ist in
ein uniformes Schwarz getaucht. Alle Accessoires, sei es in Leder,
Tuch oder Fell, sind der Uniform nicht-farblich angepasst, die
Haarfarben in ein entschiedenes Schwarz überführt. Bierflaschen
und Kerzenständer erheben das dunkle Stakkato auf den Tischen,
angereichert von schwarz glasierten Aschenbechern und Kaffeetassen.
Nur ein naturbelassener Zopfmustergewirkter Islandpullover leuchtet
im Zentrum des Cafés, ein entfernter Verwandter der Wandlandschaft
in Form und Farbe. Die Gespräche müssen laut geführt werden, da
der Rap-Sprechgesang aus den Boxen dies verlangt, bedingt dadurch
ein lautes Gemurmel der Anwesenden, das von der Beschallung rhythmisch-hart
akzentuiert wird.
Die Mischtönung aus Schattenspiel und kalkigem Hintergrund vereinigt
sich mit der Kleidung der Eminenz hinter dem Tresen. - Unfarbene
Tonmitte eines unentschiedenen Graus, als Mischresultat aus uniformen
Schwarz des Versteckens, des Unmutes und dem unschuldigen Weiß.
Die gesichtslose Plattenvorstadtsiedlung
hält nur wenige markante Orientierungspunkte für den Ortsundkundigen
bereit. Eine Tankstelle, ein großes Möbelgeschäft und Werbetafeln
sind die Wendebojen im Verkehrsfluss. Das Boulevard-Gesellschaftstreiben,
Motiv aus einem der Bilder Manets, wirbt für Coca-Cola auf der
10-stöckigen Stirnseite eines Plattenwohnhauses; - (das Wort „Fassade"
käme einer Adelung dieses Gebäudes gleich). Wäre diese Werbung
nicht mit den wetter-resistenten Westfarben gemalt, käme ansonsten
nach nicht geraumer Zeit das monumentale Konterfei Breschenjew´s
ans Tageslicht. - „Zur Altstadt?" - „Geradeaus, bis zum Breschenjew,
nein, Coca-Cola, dann rechts und anschließend über die Brücke..."
Die graue Eminenz hinter dem Tresen des kleinen Akademie-Schattenkabinetts
hat auch das koffeinhaltige Getränk in ihrem Angebot. Der mir
nun freundlich den dampfenden Kaffee reicht und meinen Wunsch
nach Milch oder Zucker oder beidem aufzuspüren versucht, war vor
ein paar Jahren Dirigent auf einem ganz anderen Podium.- Vor der
Wende Professor des wichtigsten Hauptfachs im Fächerkanon, Chef
in der hellen Aula der Akademie, nun wiederum Chef, jetzt aber
in den Niederungen des Kellercafés im selben Gebäude. Sein Kollege,
ebenfalls ehemaliger Professor des Lehrfachs „Dialektischer Materialismus",
erklärter und entschiedener Antichrist, bietet in der Vorhalle
der Akademie nun Bibeln zum Verkauf feil.
Nach der Wendeboje kommt der Wind aus einer anderen Richtung.
Die zweite Wirklichkeit erscheint in einem kuscheligen Schafsfell
|